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Tag 6: 13.04.2002 - durch die Hutongs der Altstadt


die Hutongs vom Glockenturm

Am Morgen meines vorletzten Tages in China hatte sich der mongolische Sandsturm aufgelöst. Ich stand bereits sehr früh auf, um den ganzen Tag zu genießen, denn heute wollte ich einen größeren Stadtbummel machen. Ich ließ mich zu den Hutongs fahren. Hutongs sind die alten Stadtteile in Beijing. Die meist nur eingeschossigen Gebäude mit ihren schmalen Gassen sind ein ungewöhnliches Phänomen. Das Alltagsleben der Menschen, die hier leben, macht den Charme Beijings aus. Viele Geschichten und Märchen werden über die Hutongs erzählt. In der reichhaltigen Kulturgeschichte Beijings nehmen die Hutongs einen besonderen und wichtigen Platz ein.
Die Bilder in den südlichen Stadtteilen mit ihrer Offenheit unterscheiden sich deutlich von denen im Norden der Innenstadt. Im Süden trafen unterschiedliche Kulturen und Ideen aufeinander, unterschiedliche Berufe und gesellschaftliche Kreise, und all dies brachte Vielfalt und ein pulsierendes Leben. Dagegen war das Bild im Norden eher vom ebenso prunkvollen wie streng ritualisieren und mitunter eintönigen Leben der kaiserlichen Hofschranzen und Verwaltungsfürsten geprägt. Im Süden sind die Gassen enger und verwinkelter, labyrinthartig, im Norden war alles mit wie dem Lineal ausgerichtet. Der Baustil der Siheyuan-Wohnhöfe im Süden von Beijing vereint nord- und südchinesische Elemente.

Impressionen der Hutongs
die Kunst Kaligrafie

Der heutige Hutong läuft allerdings Gefahr, nicht nur für Touristen, sondern auch für die Bewohner selbst, in Vergessenheit zu geraten. Noch immer bedecken die Häuser entlang von Hutongs ein Drittel des urbanen Siedlungsgebietes. So viele Hutongs haben die Zeit überdauert, dass dort immer noch die Hälfte der Bevölkerung wohnt. Unter diesem Gesichtspunkt ist Beijing also zugleich eine urtümlich gebliebene, aber doch moderne Stadt.
Um Platz für eine moderne Stadt mit moderner Infrastruktur und Hochhäusern zu schaffen, rückten Bulldozer vielen der engen Hutongs mit den schlichten Wohnhöfen zu Leibe. Besonders in der Innenstadt sind aber einige einst etwas edlere Gassen-Viertel erhalten geblieben. Sie stehen heute 25 Gebiete innerhalb der Altstadt unter Denkmalschutz.

Taxischlange
Seitenstraße eines Hutongs

Ich schlenderte einige Stunden durch die Hutongs. Später besichtigte ich den Trommel- und den Glockenturm. Diese beiden Türme bilden den nördlichen Abschluss der zentralen, kaiserlichen Achse durch die Stadt. Schon Kublai Khan ließ hier, in der Mitte seiner Hauptstadt, einen Turm und einen Tempel errichten, doch davon ist nichts erhalten. Der Trommelturm entstand mit dem Kaiserpalast etwa 1420, wurde danach aber mehrfach grundlegend renoviert. Auf dem massigen ummauerten Unterbau mit drei Tunneln steht eine luftige Halle, die von einem doppelten Fußwalmdach mit grün glasierten Ziegeln bedeckt ist. Heute werden dort Trommeln ausgestellt, und von der Galerie hat man einen schönen Blick in das noch recht urtümliche Viertel mit Hofhäusern und einem Markt. Der Glockenturm ist kleiner, gedrungener und einfacher. Nach einem Brand entstand er 1747 neu und diesmal ganz aus Steinen. Doch seine Konstruktion ist so sicher, dass selbst schwerste Erdbeben ihm bisher nichts anhaben konnten.

Im alten China wurde der Tag in Doppelstunden eingeteilt. Ausgangspunkt war sieben Uhr abends, dann wurde die große Trommel 13mal geschlagen, womit die Uhr als gestellt galt. Danach gab es alle zwei Stunden nur einen einzigen Schlag, tagsüber auf der Glocke, nachts auf der Trommel. Von den Türmen hatte ich einen wunderbaren Blick auf die Hutongs.

der Glockenturm inmitten der Hutongs
Tempelanlage in der Nähe des Glockemturm

Leider verdichtete sich der Smog am frühen Nachmittag und die Fernsicht war somit deutlich eingeschränkt! Ich hatte noch die Möglichkeit, einige Stunden in der Stadt herum zu laufen. Ich besuchte die städtische Sternwarte. Früher befand sie sich in den Außenbezirken Beijings. Heute steht sie mitten zwischen den zahllosen Hochhäusern und an astronomische Beobachtungen ist wegen des vielen Lichtes nicht mehr zu denken. Der Park um das Observatorium wird aber auch heute noch gerne als Ort der Erholung aufgesucht.

die alte Sternwarte von Beijing
der Park um das Observatorium

Die Straßen von Beijing

Ich verließ den Park und lief weiter zum Diplomatenviertel. Die Straßen waren hier für den Autoverkehr gesperrt und zahlreiche Polizisten patrolierten auf den Gehwegen. Das Gelände der Botschaften war mit hohen Mauern und Videokameras umgeben. Unweit dieses Areals sprach mich eine Chinesin an. Sie vermarktet "westliche Produkte" und wollte mir diese zeigen. Ich war gespannt und hatte Zeit, deswegen folgte ich ihr. Sie führte mich einige Meter zu einem Restaurant. Wir liefen durch das Restaurant in einen Hinterhof. Dort standen ihre Produkte: Raubkopien von Computerspielen und DVDs. Der Besitz solcher Hehlerware ist eigentlich verboten und deswegen dreht ich mich um. Gerade betrat ein Polizist die Tür des Restaurants. Ich bekam einen Schreck und verließ auf dem schnellsten Weg die Gaststätte. Im Reiseführer suchte ich nach einer Sehenswürdigkeit in der Nähe. Mir wurde der Besuch des Bahnhofs nahegelegt. Es soll fantastisch sein "das bunte Treiben der Neuankömmlinge zu beobachten". Fasziniert von den Schilderungen, lief ich die fünf Kilometer zum Bahnhof. In der Nähe des Bahnhofs standen viele herunter gekommene Häuser. Bettler lagen am Straßenrand. Den Charme des Bahnhofs konnte ich noch nicht genießen, da zog jemand an meinem Rucksack: es war ein bettelnder Jugendlicher. Ich lief etwas schneller und auch er erhöhte sein Tempo. Je näher ich dem Bahnhof kam, umso mehr Bettler sah ich. Hinter mir liefen mittlerweile vier Leute. Durch eine Lücke im Verkehr wechselte ich die Straßenseite. Die Chinesen folgten mir. Mir wurde etwas mulmig und so nahm ich die Beine in die Hände und rannte ein Stück. Auch die Chinesen rannten mir nun hinterher. Ich hatte keine Lust auf eine Auseinandersetzung und nahm das erst beste Taxi und ließ mich zurück zum Hotel fahren. Der Smog lag am späten Nachmittag schwer über der Stadt und ich war am Ende des Tages um einige Erlebnisse reicher. Als ich das Hotel betrat, stoppte man mich gleich hinter der Eingangstür und fragte mich nach meinem Pass. Ich gab ihn dem Portier und er kam nach einigen Minuten zurück. Die Probleme schienen ausgeräumt und er ließ mich passieren. Wahrscheinlich sah ich, nach meinem Stadtbummel, auf den ersten Blick etwas zu dreckig für das 4-Sterne-Hotel aus. Am Abend genehmigte ich mir aber noch eine reinigende Dusche auf meinem Zimmer!


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